Ist das Flanieren aus der Mode gekommen? Wer heute durch Großstädte wie München geht, trifft in der Mehrzahl auf Menschen, die ein Ziel verfolgen, sei es etwas einzukaufen, eine Lokalität aufzusuchen oder sonstige Erledigungen zu vollziehen. Zeit für Müßiggang oder Reflexion bleibt wenig. Der moderne Flaneur von heute ist der Streetfotograf.
Der Blick des Flaneurs
Der beobachtende Spaziergänger spielt zunächst in der Literatur und dann in der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts eine große Rolle. Paris, Berlin, Amsterdam waren die ersten Großstädte, in denen Maler wie Vincent Van Gogh, August Macke, Ernst Ludwig Kirchner oder George Grosz mit dem speziellen Blick des Flaneurs das Gesehene festhielten. Heute hat der Streetfotograf diese Rolle übernommen. Viele Streetfotos entstehen bei Streifzügen durch die Stadt, ohne konkreten Plan, ohne Zeitdruck, einfach indem man sich durch das Geschehen treiben lässt. Einziges Limit ist die Zeit, die man sich hierfür selbst gewährt.
Das Schaufenster als Spiegelbild
Einen solchen speziellen Blick kann man entwickeln, wenn man beispielsweise dicht an den Schaufenstern entlang geht. Dann sieht man darin nicht nur die Auslagen der Geschäfte, sondern auch das, was die Fenster zurückspiegeln. Es ist das statische Bild des Inneren, das mit dem dynamischen Geschehen im Äußeren zu einem Doppelbild verschmilzt. Wer sich darauf einlässt und sein Auge etwas trainiert, sieht darin plötzlich ganz neue Welten. Das gilt sowohl für den Fotografen, wie auch für den späteren Betrachter des Fotos (siehe dazu meinen Blog Transluzenz). Solche Bilder entstehen beim Herumstreifen, ohne konkrete Ziele – beim Flanieren.
Die nachfolgenden Bilder sind keine Montagen oder Mehrfachbelichtungen, es sind ausschließlich Originalfotos. Anders als wir Menschen, die unsere Umwelt selektiv wahrnehmen und uns dabei meist auf die Auslagen im Schaufenster fokussieren, sind für den Bildsensor der Kamera Innen- und Außenwelt gleich wichtig.













Lieber Jürgen, das sind sehr schöne Beispiele, wie sich über die Spiegelungen in Schaufenstern Bilder verdichten lassen. Deinen Ansatz Streetfotografie mit dem Flaneur zu vergleichen, finde ich interessant. Da stecken ja viele verschiedene Akzente mit drin.
Viele Grüße, Horst
Lieber Horst, vielen Dank. Ich kam deswegen auf den Begriff, da mir die gängige Typisierung des Streetfotografen in entweder „Angler“ oder „Jäger“ zu grobschlächtig vorkam. Der beobachtende Spaziergänger, oder eben der Flaneur erscheint mir treffender. Liebe Grüße Jürgen
Der Flaneur hat kein spezielles Ziel im Sinne, oder besser noch das Ziel ist im Weg, und der Weg ist gleichzeitig auch das Ziel. So landen wir zielsicher am urbanen Startpunkt, dies Spiel kennt kein Ende.