Bibliothèque Humaniste, Vorbau (Selestat)

Schatzkammer der Aufklärung

Im Elsaß, genauer im Ort Sélestat, wird ein Schatz gezeigt , der in seiner Bedeutung wohl größer ist als Gold und Edelsteine: die vollständig erhaltene Bibliothek eines Gelehrten aus der Zeit der Renaissance, Beatus Rhenanus (*1485; †1547). Eine wahre Schatzkammer der Aufklärung.

Die mittelalterlichen Beschränkungen wurden aufgebrochen

Die “Humanisten”, die man als Vordenker der Aufklärung bezeichnen kann, wollten eine Abkehr von den religösen Einengungen des Mittelalters und den direkten Zugang zu den Werken der Antike herstellen. Sie verstanden sich als Bildungsbewegung und stellten die Rückbesinnung auf die Werke der Antike als Gegenentwurf zum “finsteren” Mittelalter dar. Die antiken Werke lagen bis dahin nur handschriftlich vor. Dank der Erfindung des Buchdrucks konnten diese nun gedruckt und vervielfältigt werden. Rhenanus, in Sélestat geboren, besuchte die Lateinschule und absolvierte eine Buchdruckerlehre. Er wirkte einerseits als Herausgeber, aber auch als Autor z.B. durch seine Niederschrift der deutschen Geschichte. Durch ihre Veröffentlichungen machten die Humanisten das Wissen vorchristlicher Gelehrter einem breiteren Publikum bekannt, argwöhnisch beobachtet durch die Kirche, die ihr Wissensmonopol gefährdet sah.

Ein neues Menschenbild wurde geformt

Die Renaissance war eine Zeit des Umbruchs, der Entdeckungen (Amerika) und der Innovationen. Das Wissen wuchs gewaltig, alte Gewissheiten und Autoritäten wurden infrage gestellt (Reformation). Statt Orientierung auf die Erlösung im Jenseits wurde die Würde des Menschen und seine Fähigkeit herausgestellt, sein Leben und seine Umwelt durch Wissen selbst zu gestalten.

Was ist das Besondere an dem Bibliotheksmuseum?

Dem Architekten Rudy Ricciotti ist es zusammen mit den Museumspädagogen gelungen, ein auf den ersten Blick trockenes Thema lebendig und multimedial aufzubereiten. Die historische Bibliothek selbst steht in einem Glaskasten im Zentrum des ehemaligen Kornhauses. Zugänglich nur für Forscher und Studierende. Durch die wichtigsten Werke kann sich der Museumsbesucher an digitalen Leuchttischen “durchblättern”, begleitet von Erläuterungen, Grafiken und Bildern. Sehr gelungen finde ich das moderne Foyer, das der Architekt an das historische Gebäude ansetzte.

Lohnt sich der Besuch? Wer am Oberrhein unterwegs ist, Colmar bereits auf seiner Besuchsliste hat, sollte den 23km langen Abstecher nach Sélestat unbedingt einplanen. Die Bibliothek bringt einem die Zeit der frühen Aufklärer sehr nahe, und jeder kann für sich die eine oder andere Parallele zu heute herstellen, z.B. in der Diskussion über Fakten vs Meinungen.

Neben der Bibliothèque Humaniste lohnt auch der Besuch der beiden Kirchen. V.a. die modernen Buntglasfenster in der gotischen Église Saint-Georges haben mich überzeugt.

Weitere Blogbeiträge zur Reise an den Oberrhein in 2023 findest du hier:
Warme Quellen und prominente Besucher – Badenweiler
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Zwei in Eins – Musée Unterlinden
Ein bisschen seltsam
Colmar – eine Lektion für ein geeintes Europa

 

2 Gedanken zu “Schatzkammer der Aufklärung


  1. Lieber Jürgen,

    herzlichen Dank für die prägnante Zusammenfassung. Den Anbau finde ich auch sehr gelungen. Die Verwendung von Buntsandstein und die Betonung der Vertikalen greift Elemente der alten Gebäude auf und wirkt mit ihrer strengen Linienführung modern und dennoch zeitlos.
    Herzliche Grüße Horst


    1. Hallo Horst, ja, wobei der Architekt durch die Verdrehung und Verjüngung der Säulen ein gutes Stück von der Strenge weggenommen hat, die der Buntsandstein sonst mit sich bringt. Dazu tragen auch die Glasfenster bei. Da ich ursprünglich aus Nürnberg stamme, bin mit dem Sandstein groß geworden und finde ihn sonst etwas fad und altbacken. Aber durch diese Komposition wirkt er wieder modern. Liebe Grüße Jürgen

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