Eigentlich grenzt es fast an ein Wunder: wir erfreuen uns heute an den Gebäuden und Plätzen des kleinen Weinortes Colmar im Elsaß, die über rund 600 Jahren Bauzeit entstandenen sind. Viele finden das Örtchen wegen seiner bunten Häuser so romantisch, dass im Sommer die Besucher in Scharen kommen. Dabei ist es gar nicht selbstverständlich, dass überhaupt noch etwas steht, wenn man sich die wechselvolle Geschichte des Ortes vor Augen hält.
Ein Hin und ein Her
Bevor sich die beiden Nationalstaaten Deutschland und Frankreich um den Ort stritten, war alles klar. Colmar, im 13. Jahrhundert zur Stadt erhoben, überstand die schwedische Besetzung im Dreißigjährigen Krieg bis Ludwig XIV sie 1673 kurzer Hand anektierte und ins französische Königreich eingliederte. Dann kamen 1871 die Deutschen wieder zurück und erlangten die Oberhoheit, was aber nur bis zum Ende des 1. Weltkrieges dauerte. Dann fiel die Stadt wieder an Frankreich, bis die Deutschen im 2. Weltkrieg erneut kamen. Deren Nazi-Herrschaft einschließlich der Rekrutierung der männlichen Einwohner für die Wehrmacht, dauerte fünf Jahre. Seit 1945 ist Colmar entgültig wieder in Frankreich angekommen,
DIE Europäische Einigung machts möglich
Die Stadt ist ein beredtes Beispiel für die Vergänglichkeit des Nationalismus und den Segen der Europäischen Einigung. Nach dem Niedergang der Textilindustrie ist es heute der Tourismus, insbesondere der grenzüberschreitende, der dem Ort neben dem Weinanbau Wohlstand bringt. Ohne Ausweiskontrollen, ohne Geldumtausch. Den Le Pens, den Weigels und Melonis dieser Welt sei es entgegengehalten.
Das Multikulturelle als Prinzip
Ich bin überrascht, dass die Bäcker ein paar Kilometer östlich des Rheins richtige Baguettes backen können, was den Bäckern rechtsrheinisch schwerlich gelingt. Das typische Regionalgericht hier heißt Choucroute (Sauerkraut im Gärtopf geschmort mit Beilagen wie Würstchen und Schweinefleisch), eigentlich ein deutsches Gericht. Zum Frühstück werden Laugen-Bretzel (man achte auf das “t”) angeboten, belegt mit Schinken und Käse. Für den kleinen Hunger zwischendurch gibt es an jeder Ecke bzw. in jeder Weinstube Flammkuchen. Das Flüsschen durch Colmar heißt “Lauch” und fließt durch einen Stadtteil, den sie hier “klein Venedig” nennen.
Wer sich wundert, dass auf den nachfolgenden Bildern so wenige Touristen zu sehen sind, hier die Lösung: Kamera leicht nach oben halten. Die Häuser sind übrigens deswegen so bunt, weil man daran früher den Beruf des Besitzers erkennen sollte. Und noch einen Tipp: nehmt euch ein Quartier in der Altstadt und meidet um die Mittagszeit die Hauptrouten der Bustouristen. Am Entspanntesten läßt sich die Zeit morgens beim Frühstück in einem der Cafés und abends in der Weinstube bei einem guten Elsässer Riesling oder einem Muskateller verbringen.





















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Warme Quellen und prominente Besucher – Badenweiler
Englischer Park – Landhaus Ettenbühl
Zwei in Eins – Musée Unterlinden
Ein bisschen seltsam
Sehr schön, ich war da mal vor langer Zeit (1974 oder 1975), die Grenzregionen Europas sind oder waren nie wirklich Teil einer Nation, vielmehr vermischen sich dort nationale Diskurse! Von mir nach Schlesien ist es nicht weit, die Leut sprechen dort z.T. immer noch sog. Wasserpolnisch oder auch Schlonski genannt, eine Mischung aus Deutsch und Polnisch, daran kann auch die fanatische PIS(S)-Regierung in Warschau nichts ändern 🎃