Cinemascope für die Fotografie?

Das gewählte Bildformat spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Wirkung von Fotos. Während 3:2 (Kleinbildformat), 1:1 (aus dem Mittelformat stammendes Verhältnis) oder 16:9 (gängiges Fernsehbildformat) häufig genutzt wird, kommt das aus der Kinowelt bekannte Cinemascope-Format (21:9) in der Still-Fotografie nur selten vor. Warum eigentlich?

Historisches

Die Filmgesellschaft Twentieth Century Fox war in den 50er Jahren auf der Suche nach einem Kinoformat, das ihre Produktionen spannender rüberbringen sollte. Insbesondere bei Landschaftsaufnahmen und Actionszenen. Dabei setzten sie auf sogenannte anamorphe Objektive, die bei der Aufnahme die Szene auf einem 35mm Film seitlich gestaucht aufzeichnen. Bei der Projektion wird das 35mm-Bild umgekehrt wieder in ein Breitbildformat im Seitenverhältnis 2,35:1 auseinander gezogen, was in etwa 21:9 entspricht. Das war für die Filmgesellschaft einerseits kostengünstig, andererseits begeisterte es das Publikum in den Kinos. Die Sitzreihen in den Kinos konnten breiter angelegt werden, der Zuschauer saß näher an der Leinwand und folgte mit der Kopfbewegung den Filmszenen. Kein Vergleich zu den aufkommenden Guckkästen namens Fernseher.

Technisches

Vorweg: wer das 21:9 Bildformat mit seiner digitalen Kamera ausprobieren möchte, muß sich nicht unbedingt ein anamorphes Objektiv anschaffen. Anamorphe Objektive sind etwas für die Profifilmemacher und liegen wegen ihrer geringen Stückzahl und aufwändigen Produktion jenseits des Budgtes für einen Amateur. Wer mehr darüber, über die große Schärfentiefe und das ovale Bokeh dieser Objektive lesen möchte, dem empfehle ich die gute Beschreibung der Wedio Akademie.

Auch ohne anamorphe Objektive, kann es spannend sein, dieses Bildformat mit einem normalen 24x36mm Sensor und einem Standardobjektiv auszuprobieren. Klar ist, daß dann von diesem Sensor nur ca. 2/3 der Pixel genutzt werden. Aus einem 47 MB-Foto wird eines mit ca. 30 MB. Das reicht für ca. 95% der späteren Bildwiedergaben locker aus. Problematischer ist der Pixel-Verlust sicher bei kleineren Sensoren.

Hier ein Vergleich der Bildformate von 3:2; 16:9 und 21:9 mit dem gleichen Motiv:

Bei vielen digitalen Kameras läßt sich das Bildformat im Aufnahmemenü einstellen. Leider sind meist nur die gängigen Formate wie 3:2, 1:1 oder 16:9 möglich. Bei Nikon beträgt das weiteste Seitenverhältnis 16:9. Ich behelfe mich dadurch, daß ich die Gitternetz-Einteilung mit 16 Feldern im 3:2-Format einblende. Wenn mein Motiv innerhalb der beiden mittleren Feldreihen liegt, habe ich später beim Beschnitt oben und unten noch etwas Spielraum bis zum 21:9 Bildformat. Das funktioniert dann wie bei einer Sucherkamera, bei der ein eingeblendeter Bildrahmen den tatsächlichen Bildausschnitt zeigt.

Ich will nicht unerwähnt lassen, daß es auch analoge Kameras im Breitbildformat für die Still-Fotografie gibt, oder besser gab: die Hasselblad Xpan (gebaut 1998-2006) mit einem noch breiteren Format von 11:6. Aber das ist eine andere (analoge) Welt.

Motivwahl und Komposition

Welche Vorteile bietet nun das breitere Format für die Fotografie?

Zunächst bieten sich alle Motive an, die auch in der Panoramafotografie genutzt werden: Landschaften, Stadtsilhouetten, Architektur. Der aus unserem normalen Sehkreis herausgeschnittene obere und untere Bildrand betont die Weite des Motivs. Ganz praktisch: das bei Weitwinkelaufnahmen oft auftretende Problem, wie Vorder- und Hintergrund gefüllt werden, tritt beim Breitbildformat weniger auf. Der Nachteil gegenüber der “echten” Panoramafotografie, die sich aus mehreren Einzelbildern zusammensetzt, liegt in einer möglichen Motivverzerrung zum Rand hin. Dies hängt jedoch vom verwendeten Objektiv ab. Hier einige Beispiele für diesen Motivbereich:

Eine weitere Anwendungsmöglichkeit sehe ich in der Streetfotografie. Die Interaktion oder auch (Nicht-)Interaktion von Menschen läßt sich im Breitbildformat konzentrierter darstellen, da weniger umgebener Raum gezeigt wird. Die mehrteilige Panoramafotografie wäre hier bei sich bewegenden Objekten keine Alternative.

Ähnlich wie im Kinofilm, lassen sich Portraits sowohl in der Street- wie auch in der Eventfotografie durch das breitere Format gut in die Szene einbauen. Je nach Objektivbrennweite und Blendenöffnung kann das Umfeld der abgebildeten Person von scharf bis unscharf dargestellt werden.

Ein weiterer Vorteil des weiteren Bildkreises liegt in der möglichen Segmentierung des Bildes in einzelne Aktionsräume. Das Bild vermittelt verschiedene Handlungsstränge, die gleichzeitig nebeneinander ablaufen.

Präsentation

Wie und wo zeigt man solche Breitformatfotos? In den üblichen SocialMedia-Kanälen fällt das Format aus dem Raster. Auf TV-Geräten sind sie nur mit schwarzen Balken oben und unten darstellbar. Man kann sie über Beamer zeigen und ist damit nahe an der Kino-Welt. Oder man zeigt sie auf speziellen Fotoplattformen, auf Webseiten oder als Prints an der Wand oder in Ausstellungen. Also nichts für den schnellen Bildermarkt … und das ist gut so.

Dann viel Spaß beim selbst Ausprobieren.

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4 Gedanken zu “Cinemascope für die Fotografie?

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